Nationale Symbole der Ungarn und deren Narrative

Autor/innen

  • Gabriella Schubert

Abstract

In diesem Beitrag widmen wir uns den wichtigsten Symbolen des kollektiven Eigenen der Ungarn und ihren wechselvollen Narrativen: im Einzelnen behandelt werden

a) die Staatssymbole:

  • das ungarischen Wappen, deren heutige Form auf Vorbilder zurückgeht, die zu Beginn des 17. Jh.s geprägt wurden und um die Mitte des Jahrhunderts ihre endgültige Form erhielten, deren staatsrechtliche Bestimmung jedoch erst Ende des 18. Jh.s formuliert wurde. Nach dem Systemwechsel kam es 1990 im ungarischen Parlament wie in der Öffentlichkeit zu heftigen Debatten darüber, welches Wappen das demokratische Ungarn repräsentieren sollte. Am Ende siegte die konservative Sichtweise und es wurde die Wiedereinführung des ungarischen Königswappens mit der heiligen Stephanskrone beschlossen. Damit knüpfte man an die tradierte Symbolik und den Reichsgedanken der Stephanskrone an;
  • die Nationalfarben und die Nationalflagge. Rot-Weiß-Grün sind die Nationalfarben der Ungarn. Die rote Farbe wird mit dem Banner des Großfürsten Árpád (um 845–907) in Verbindung gebracht, der 895 die ungarischen Stämme in ihre jetzige Heimat führte; die weiße Farbe mit dem von Papst Silvester II. an Stephan I., den ersten christlichen König Ungarns (969–1038), verliehenen Kreuz und das Grün wird mit den grünen Hügeln des Wappens Oberungarns assoziiert. Rezente Umfragen ungarischer Ethnologen, die herausfinden wollten, welche Farbe in der Bevölkerung gegenwärtig als genuin-ungarisch empfunden wird, ergaben interessanterweise, dass dies am ehesten das Grün ist. Dies hänge mit der Abneigung gegenüber dem Rot zusammen, das während des Sozialismus die alles dominierende Farbe darstellte. 1956 wurde das sozialistische Wappen aus der Fahne während des Oktoberaufstandes zum Zeichen des Widerstandes gegen die sowjetische Besatzungsmacht herausgeschnitten; seitdem symbolisiert „die ungarische Fahne mit dem Loch“ den ungarischen Aufstand von 1956. Behandelt wird auch die Árpád-Fahne mit rot-silbernen Streifen;
  • die „heilige“ Stephanskrone, deren Bedeutung in der heutigen Verfassung Ungarns wie auch in der Geschichte. Dieser Gegenstand war seit dem Mittelalter Zeichen der Staatsmacht und der Legitimität ihres Trägers. Der Krönungsakt, in dem die Krone eine zentrale Rolle spielte, führte sehr bald zur Sakralisierung und religiösen Überhöhung der Krone. Die staatsrechtliche Bedeutung der Stephanskrone formulierte István Verbőczy (um 1458–1541) in seiner Rechtssammlung Opus Tripartium Iuris Consuetudinarii Regni Hungariae. Die in der 2. Hälfte des 19. Jh.s von dem ungarischen Staatsrechtler Imre Hajnik entwickelte und von seinem Schüler Ákos von Timon verbreitete Lehre von der Hl. Stephanskrone verstärkte die staatsrechtliche Bedeutung der Krone: Die Stephanskrone verkörpert seitdem zusätzlich die Kontinuität der ungarischen Verfassung und der ungarischen Staatsnation. Heute ist sie Teil des „nationalen Bekenntnisses“;
  • der Krönungsmantel, der einzige, im Original erhalten gebliebene Teil der ungarischen Krönungsinsignien;
  • das Königszepter, Sinnbild der weltlichen Macht und der Rechtsprechung; es wird auf das 10. Jh. datiert; seine Herkunft wird in Ägypten vermutet;
  • der Reichsapfel, Wahrzeichen der Herrschermacht, als Krönungsinsignie wahrscheinlich erst seit dem 14. Jh. in Verwendung;
  • das Krönungsschwert, das bei der Krönungszeremonie des ungarischen Königs eine wichtige rituelle Funktion hatte. Auch auf Attilas Schwert wird in diesem Zusammenhang eingegangen;
  • die ungarische Nationalhymne, der „Aufruf“ und das „Nationale Lied“. Die ungarische Nationalhymne verfasste 1823 der ungarische Dichter Ferenc Kölcsey (1790–1838); 1844 wurde es von dem Komponisten Ferenc Erkel vertont. 1903 wurde sie offiziell zur Nationalhymne deklariert. Aufgrund ihres religiösen Charakters wird sie noch heute in den Kirchen angestimmt, jedoch auch zum Jahreswechsel gesungen. Den Text des Aufrufs (Szózat), verfasste der Dichter Mihály Vörösmarty 1836. An Nationalfeiertagen wird neben Kölcseys Himnusz auch der Szózat gesungen: zu Beginn erklingt der Himnusz, zum Abschluss der Szózat. Gleichrangig mit diesen beiden Liedern ist ein drittes Lied: das sog. Nationale Lied (Nemzeti dal). Hierbei handelt es sich um das Revolutionslied des ungarischen Nationaldichters Sándor Petőfi (1823–1849), das dieser am 13. März 1848, zwei Tage vor Ausbruch der Revolution, niederschrieb; 

b) religiöse und mythische Symbole:

  • Die rechte Hand Stephans des Heiligen, die einbalsamiert in einer Seitenkapelle der Stephansbasilika in Budapest aufbewahrt wird. Sie ist als Heilige Rechte (Szentjobb) bekannt und gilt als eine zu verehrende Reliquie von christlicher wie nationaler Bedeutung. Jährlich am 20. August, dem Fest des Heiligen Stephan, kommen Tausende von Gläubigen zur Stephansbasilika, um an der Prozession teilzunehmen, die die Reliquie begleitet.
  • Regnum Marianum, dies ist ein alter katholischer Name für Ungarn, der mit dem Hl. Stephan in Verbindung gebracht wird. Nach der Emmerich-Legende habe der König nach dem Tode seines Sohnes, der während einer Jagd von einem wilden Eber getötet wurde, sich und sein Land der Mutter Gottes übereignet. Ein entsprechendes Gemälde des berühmten ungarischen Malers Gyula Benczúr befindet sich in der Stephansbasilika in Budapest;
  • der Turul-Vogel, ein Greifvogel (Zwitter zwischen einem Adler und einem Falken), ein Sagenwesen aus dem altungarischen Mythenkreis. In der Herkunftssage der Arpaden, im Traum von Emese, spielt er eine zentrale Rolle. Er gilt als etwas ureigen Ungarisches. Davon zeugen folklorisierte Abbildungen des Vogels im Straßenbild ungarischer Städte oder auf Filzwesten. Auch in der politischen Folklore erhielt er eine wichtige Funktion.

Schließlich widmen wir uns

c) der altungarischen Kerbschrift, die in Siebenbürgen vom 9.–12. Jh. im Gebrauch war. Der Pflege und Verbreitung der ungarischen Runenschrift widmet sich gegenwärtig ein Runenschrift-Kreis, der sich nach Sándor Forrai, einem Schrifthistoriker und Anhänger der turanischen Abstammung der Ungarn, benannt hat. Es werden Lehrgänge angeboten und Lehrbücher herausgegeben. Die Anhängerschaft der Runenschrift ist groß; sie sorgt dafür, dass auch manche der Ortsschilder mit dieser Schrift ausgestattet werden.

Autor/innen-Biografie

Gabriella Schubert

Wissenschaftlicher Werdegang

  • 1971-77 Studium der Slawistik und Balkanologie, FU Berlin; 1977 M.A.;
  • 1977-82 wissenschaftliche Assistentin, Abteilung Balkanologie des Osteuropa-Instituts der FU Berlin;
  • 1981 Promotion ebd. (Dissertation: Die ungarischen Lehnwörter im Serbokroatischen unter besonderer Berücksichtigung der Rückentlehnun­gen. Erschienen als Band 7 der „Balkanologischen Veröffentlichungen“, Berlin 1982);
  • 1982 Dissertations-Preis der Südosteuropagesellschaft;
  • 1991 Habilitation ebd. (Habilitationsschrift: Kleidung als Zeichen. Kopfbedeckungen im Donau-Balkan-Raum, erschienen als Band 20 der „Balkanologischen Veröf­fentlichungen“, Berlin 1993);
  • venia legendi und Lehrbefugnis für das Fach Balkanologie;
  • 1986-95 Akademische Rätin an der Abteilung Balkanologie,
  • ab 1993 kommissarische Leitung der Abteilung;
  • 1992 Gastprofessur an der Fakultät für Volkskunde der Eötvös-Universität Budapest;
  • Juli 1995 Ruf an die FSU Jena auf die Professur für Südslawistik;
  • neben Südslawistik Aufbau und seit WS 1997/98 Durchführung des interdis­zipli­nären Studiengangs „Südosteuropastudien“ sowie seit Oktober 2006 des von der DFG geförderten, insgesamt auf 9 Jahre konzipierten Graduiertenkol­legs „Kultu­relle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“ an der FSU Jena.
  • Seit 2009 im Ruhestand, jedoch weitere Mitarbeit am obengenannten Graduiertenkolleg.
  • Über 200 Forschungsbeiträge zur Balkanologie, Südslawistik, Hungarologie und Kulturwissenschaft.

 

Mitgliedschaften, Auszeichnungen:

  • Auswärtiges Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften Belgrad; Auswärtiges Mitglied der Ungarischen Aka­demie der Wissenschaften Budapest;
  • Trägerin der Kon­stantin-Jireček-Medaille der Belgrader Universität;
  • Mitglied des Präsidiums der Südosteuropa-Gesellschaft;
  • Schriftführende Herausgeberin der „Zeitschrift für Balkanologie“ (Harrassowitz Verlag, Wies­baden);
  • Herausgeberin der Schriftenreihe Forschungen zu Südosteuropa. Sprache . Kultur . Lite­ratur. Harrassowitz Verlag Wiesbaden;
  • Mitherausgeberin der Publikationsreihe „Balkanologie – Sprachen und Kulturen“ (Wien)

 

Forschungsschwerpunkte:

  • Ethnologie und Folkloristik der Ethnien Südosteuropas;
  • Kultursemiotik; Identität und Abgrenzung im Donau-Balkan-Raum;
  • Das Eigene und das Fremde im Spiegel der Literatur;
  • Südslawische Erzähler der Gegenwart;
  • interethnische Kommunikation in Südosteuropa;
  • Kontaktlinguistik;
  • Sprache und Identität;
  • Deutsch-südslawische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen;
  • Hungarologie;
  • Kulturgeschichte der Ungarn

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Veröffentlicht

2014-01-30

Zitationsvorschlag

Schubert, G. (2014). Nationale Symbole der Ungarn und deren Narrative. Zeitschrift für Balkanologie, 49(2). Abgerufen von https://zeitschrift-fuer-balkanologie.de/index.php/zfb/article/view/362

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