Zur Geschichte des rumänischen Antisemitismus

Autor/innen

  • Heinrich Stiehler

Abstract

Der vorliegende Beitrag unterstreicht die autochthone Tradition des rumänischen Antisemitismus, die sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, genauer: bis zu Artikel 7 der Verfassung von 1866, der nur „Fremden“ christlichen Glaubens theoretisch das Recht einräumt, Rumänen zu werden. Die Gründe dafür sind ökonomische: Im Strukturwandel vom Feudalismus zum Kapitalismus fehlten der rumänischen Landbevölkerung jene Qualitäten des bürgerlichen Wettbewerbs, für die das Judentum stand. Die „jüdische Frage“ wird deshalb von den damaligen intellektuellen Meinungsführern stets an die „Bauernfrage“ geknüpft. Anfang des 20. Jahrhunderts entsteht die erste antisemitische Partei (PND) durch N. Iorga und Al. C. Cuza, der nach 1918 in „Großrumänien“ weitere protektionistische Formationen wie die UNC oder die LANC folgen. Gegen den Juden als „Profiteur“ und „Kommunisten“ konstituiert sich, z.T. in Konkurrenz, die parlamentarische und außerparlamentarische Rechte wie die Eiserne Garde, die sich im Gegensatz zum Nationalsozialismus auf eine ethnisch begründete christliche Orthodoxie beruft. Orchestriert wird das von den führenden rumänischen Intellektuellen der 30er Jahre: von Octavian Goga, mit Al. C. Cuza 1937 kurzzeitig Chef des regierungstragenden PNC, über Nichifor Crainic, Nae Ionescu, Mircea Eliade bis cum grano salis zu Emil M. Cioran. Die spezifische Tradition, die zum rumänischen Holocaust führt, wurzelt folglich nicht in der darwinistischen Ideologie, sondern im ökonomischen Konkurrenzdenken und in der christlichen Orthodoxie.

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Veröffentlicht

2016-03-18

Zitationsvorschlag

Stiehler, H. (2016). Zur Geschichte des rumänischen Antisemitismus. Zeitschrift für Balkanologie, 51(2). Abgerufen von https://zeitschrift-fuer-balkanologie.de/index.php/zfb/article/view/429

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