Präsens narrativum und der Präteritalbereich im Romani (verglichen mit den Balkansprachen)
Abstract
Das Präsens narrativum (PNr) ist in den Dialekten des Romani vergleichsweise häufig, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass wir es überwiegend mit mündlichen Erzähltexten (Märchen, Anekdoten usw.) zu tun haben. Die Form erscheint typischerweise nicht im Textbeginn und auch nicht im Textschluss, sondern erst nachdem im Textbeginn eine Vergangenheitssituation spezifiziert worden ist. Wechsel zwischen PNr und Vergangenheitstempora finden sich wiederholt, ohne bislang erkennbare Bedingungen. Das PNr fehlt (verständlicherweise) in der direkten Rede, aber auch in Situationen, wo inhaltlich Vorvergangenheit (und Perfektsituation) vorliegt bzw. in anderen Sprachen Plusquamperfekt bzw. Perfekt vorkommen werden würden. Wie in anderen europäischen Sprachen ersetzt das PNR den Aorist (unmarkiertes Präteritum), anders als sonst aber scheinbar auch das Imperfekt. Sollte sich letzteres bestätigen, würde sich Romani hier deutlich von den Balkansprachen (und wohl von europäischen Sprachen mit vergleichbarer Verbstruktur) unterscheiden.In der hier vertretenen Konzeption ist Romani keine aspektdominierte Sprache. Vielmehr wird Verbkategorien ein Tempuswert und (gegebenenfalls) ein Aspektwert zuerkannt. Der Aorist wird als eine perfektive Präteritalkategorie, nicht als bloßes Perfektiv (Aspekt) verstanden. Die Umsetzung des Aorist in das Präsens (PNr) bewirkt eine Aktualisierung/Vergegenwärtigung des Geschehens, betrifft also das Tempus und nicht den Aspekt. Insofern spricht die bloße Existenz des PNr gegen die Interpretation des Aorist als reine Aspektform. Die Balkansprachen, denen das Romani im Tempusbereich weitgehend ähnelt, lassen historisch eine Tendenz erkennen, die in dieselbe Richtung weist: Aorist und Imperfekt nähern sich morphologisch immer weiter an, ein analogischer Vorgang, bedingt dadurch, dass es sich bei beiden um Präterita handelt.
Downloads
Veröffentlicht
Zitationsvorschlag
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Mit Einreichung zur Veröffentlichung wird das Copyright für den jeweiligen Beitrag an den Harrassowitz Verlag / Zeitschrift für Balkanologie übertragen. Nach dem Erscheinen des Beitrags in der Zeitschrift für Balkanologie ist in Rücksprache mit der Redaktion und mit Hinweisen auf den Ort der Erstveröffentlichung eine Veröffentlichung an anderer Stelle möglich.
Es sollte sich bei eingereichten Beiträgen um Originalbeiträge handeln, die an keiner anderen Stelle in weitgehend gleicher Form oder mit weitgehend gleichen Inhalten veröffentlicht bzw. zur Veröffentlichung eingereicht wurden. Autor/innen müssen Sorge dafür tragen, dass sie das Copyright bzw. eine Nutzungslizenz für jegliches in einem Beitrag verwandte Material (z.B. Fotos) haben.